Aminoglykoside - Infektionskrankheiten - MSD Manual Profi-Ausgabe (2024)

Aminoglykoside, weisen eine konzentrationsabhängige bakterizide Aktivität auf. Diese Antibiotika binden sich an das 30S-Ribosom und inhibieren dadurch die bakterielle Proteinsynthese. Spectinomycin ist ein bakteriostatisches Antibiotikum, das mit den Aminoglykosiden chemisch verwandt ist.

Pharmakokinetik

Aminoglykoside werden nach oraler Gabe schlecht resorbiert, werden aber vom Peritoneum, von der Pleurahöhle und Gelenken sowie nackter Haut gut resorbiert.

Aminoglykoside werden normalerweise IV appliziert, können aber auch i. m.verabreicht werden, wenn der IV-Zugang nicht verfügbar ist. Aminoglykoside verteilen sich gut in der Extrazellulärflüssigkeit, allerdings nicht im Glaskörpern, im Liquor, in Atemwegssekreten und in der Galle (insbesondere bei Patienten mit biliärer Obstruktion). Bei der Therapie der Endophthalmitis ist eine intravitreale Injektion erforderlich. Eine intraventrikuläre Injektion ist oft nötig, um adäquate intraventrikuläre Spiegel für die Behandlung einer Meningitis zu erreichen.

Aminoglykoside werden durch glomeruläre Filtration ausgeschieden und haben eine Serumhalbwertszeit von 2–3 h; die Halbwertszeit steigt mit fallender glomerulären Filtrationsrate (z. B. bei Niereninsuffizienz oder älteren Patienten) exponentiell an.

Indikationen für Aminoglykoside

Aminoglykoside werden bei schweren

  • gramnegativen Infektionen, insbesondere durch Pseudomonas aeruginosa, eingesetzt.

Sie sind gegen die meisten gramnegativen aeroben Stäbchenbakterien wirksam, nicht jedoch gegen Anaerobier, und gegen die meisten grampositiven Bakterien außer den meisten Staphylokokken; trotzdem gibt es auch unter den gramnegativen Stäbchen und den Staphylokokken (MRSA) einige resistente Stämme.

Zu den Aminoglykoside, die wirksam gegen P. aeruginosa sind, gehören Tobramycin (insbesondere), Gentamicin und Amikacin. Streptomycin, Neomycin und Kanamycin sind nicht wirksam gegen P. aeruginosa. Gentamicin und Tobramycin haben ein vergleichbares antibakterielles Wirkspektrum gegen gramnegative Stäbchen, aber Tobramycin ist wirksamer gegen P. aeruginosa, und Gentamicin ist wirksamer gegen Serratia marcescens. Amikacin ist häufig noch wirksam gegen Gentamicin- und Tobramycin-resistente Erreger.

Aminoglykoside werden selten einzeln angewendet, es sei denn, sie werden bei Pest und Tularämie verwendet. Sie werden gewöhnlich in Kombination mit einem Breitspektrum-Beta-Lactam bei schweren Infektionen eingesetzt, die in Verdacht stehen, durch gramnegative Stäbchen ausgelöst worden zu sein. Da jedoch die Aminoglykosidresistenz zunimmt, kann ein Fluorchinolon das Aminoglykosid in den ersten empirischen Maßnahmen ersetzen, abhängig von den Anfälligkeitsmustern für Fluorchinolone in der lokalen Gemeinschaft. Wird festgestellt, dass der Erreger für das begleitende Antibiotikum anfällig ist, kann das Aminoglykosid nach 2 bis 3 Tagen gestoppt werden, es sei denn, es wird eine aminoglykosid-sensitive P. aeruginosa identifiziert.

Gentamicin, seltener auch Streptomycin, kann in Kombination mit anderen Antibiotika zur Behandlung einer Streptokokken- oder Enterokokken-Endokarditis verwendet werden. Aminoglykosid-Resistenzen bei Enterokokken sind ein häufiges Problem geworden. Da die Behandlung einer Enterokokken-Endokarditis den längeren Einsatz potenziell nephrotoxischer und ototoxischer Aminoglykoside in Kombination mit einem bakterienzellwandaktiven Antibiotikum (z. B. Penicillin oder Vancomycin) erfordert, um einen bakteriziden synergistischen Effekt zu erzielen, muss die Wahl des Aminoglykosids anhand der spezifischen In-vitro-Empfindlichkeitsprüfung ausgerichtet werden. Eine High-level-in-vitro-Empfindlichkeit gegen Aminoglykoside weist auf einen synergistischen Effekt einer Kombinationstherapie mit einem niedrig dosierten Aminoglykosid und einer zellwandwirksamen Substanz hin. Wenn der Stamm auf High-level-Gentamicin und -Streptomycin empfindlich ist, wird Gentamicin bevorzugt, da Serumspiegel hier leicht bestimmt werden können. Eine hohe Enterokokkenresistenz gegen Gentamicin in vitro schließt nicht aus, dass diese Stämme für hohe Streptomycin-Konzentrationen empfindlich sind; in solchen Fällen sollte Streptomycin verwendet werden, wenn diese Stämme für hohe Streptomycin-Konzentrationen empfindlich sind.

Bei Enterokokken-Endokarditis mit High-level-Resistenz sowohl gegen Gentamicin als auch Streptomycin gibt es nur wenige verfügbare therapeutische Optionen; es existiert keine synergistische Zellwandwirkstoff/Aminoglykosid- Kombination bei Endokarditis aufgrund solcher Stämme, aber die Kombination des Zellwandwirkstoffe Ampicillin and Ceftriaxon hat sich vor kurzem als wirksam erwiesen und verringert das Risiko für Nephrotoxizität. Viele Kliniker haben begonnen, Ampicillin plus Ceftriaxon anstelle von Ampicillin plus Gentamicin für Enterococcus faecalis Endokarditis zu verwenden, auch für Stämme ohne Aminoglykosidresistenz, da die Wirksamkeit ähnlich ist und die Toxizität geringer ist.

Streptomycin ist aufgrund von Resistenzbildungen und Toxizität nur begrenzt einsetzbar. Es wird zur Behandlung von Tularämie und Pest sowie zusammen mit anderen Antibiotika bei Tuberkulose eingesetzt. Kanamycin kann bei der Behandlung bestimmter Fälle von multiresistenter Tuberkulose in Kombination mit anderen Antibiotika weiterhin eine Rolle spielen.

Aufgrund seiner Toxizität ist Neomycin auf die topische Anwendung in kleinen Mengen beschränkt. Neomycin ist verfügbar für die Anwendung am Auge, Ohr, Rektum und oral sowie zur Blasenspülung. Eine orale Applikation als topisch wirkende Substanz gegen intestinale Microbiota findet Anwendung bei der präoperativen Darmsanierung und der Therapie des hepatischen Komas.

Kontraindikationen für Aminoglykoside

Aminoglykoside sind bei Patienten kontraindiziert, die allergisch auf diese sind.

Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit

Bei Aminoglykosiden gibt es Hinweise auf ein Risiko für den Fötus (z. B. auditorische Toxizität), aber der klinische Nutzen kann das Risiko überwiegen. Wenn ein Aminoglykosid während der Schwangerschaft angewendet wird oder die Patientin während der Einnahme eines Aminoglykosids schwanger wird, sollte sie über die potenzielle Gefahr für den Fötus informiert werden.

Aminoglykoside gelangen in die Muttermilch, werden oral aber nicht gut resorbiert. Daher ist die Verabreichung während der Stillzeit möglich.

Unerwünschte Wirkungen von Aminoglykosiden

Alle Aminoglykoside sind

  • nephrotoxisch (oft reversibel)

  • sowie vestibulo- und ototoxisch (oft irreversibel).

  • Weiterhin verlängern sie die Wirkung von neuromuskulär blockierenden Substanzen

Symptome für bzw. Hinweise auf einen vestibulären Schaden sind Vertigo und Ataxie.

DieRisikofaktoren für eine renale, vestibuläre und Ototoxizität sind

  • Häufige oder sehr hohen Dosen

  • Sehr hohe Blutspiegel des Medikaments

  • Lange Therapiedauer (insbesondere > 3 Tage)

  • Höheres Alter

  • Eine bereits bestehende Nierenerkrankung

  • Co-Verabreichung von Vancomycin, Cyclosporin, Amphotericin B, jodierten Kontrastmitteln oder anderen Nephrotoxinen

  • Bei Otoxizität eine genetische Prädisposition, vorbestehende Hörprobleme und die gleichzeitige Gabe von Schleifendiuretika

Hohe Dosen, die über einen längeren Zeitraum verabreicht werden, führen in der Regel zu größeren Bedenken über Nierentoxizität, aber selbst geringe Dosen, die für eine kurze Zeit gegeben werden, können die Nierenfunktion verschlechtern.

Patienten, die Aminoglykoside über > 2 Wochen erhalten und solche, die Risikofaktoren für eine vestibuläre und auditive Toxizität besitzen, sollten mit seriellen Audiographien überwacht werden. Beim ersten Hinweis auf Toxizität wird die Applikation abgebrochen (falls möglich) oder die Dosis angepasst.

Aminoglykoside können den Effekt von Substanzen verlängern, die die neuromuskuläre Erregungsübertragung blockieren (z. B. Succinylcholin, Kurare-ähnliche Substanzen), und die Muskelschwäche bei Krankheiten verschlimmern, die die neuromuskuläre Erregungsübertragung betreffen (z. B. Myasthenia gravis). Diese Effekte sind besonders wahrscheinlich, wenn das Medikament zu schnell gegeben wird oder die Serumspiegel übermäßig hoch sind. Gelegentlich verlieren sich diese Effekte schneller bei IV Gabe von Neostigmin oder Kalzium. Weitere neurologische Effekte wie Parästhesien und periphere Neuropathien können vorkommen.

Überempfindlichkeitsreaktionen sind selten, abgesehen von Kontaktdermatitis aufgrund topischen Neomycins. Hohe orale Neomycindosen können zur Malabsorption führen.

Dosierungsüberlegungen für Aminoglykoside

Da die Toxizität weniger von den Spitzenspiegeln als von der Dauer der therapeutischen Spiegel abhängt und da die Wirkung eher konzentrationsabhängig als zeitabhängig ist, sollte eine zu häufige Gabe vermieden werden. Einmal/Tag i.v.-Dosierung wird gegenüber der traditionellen intermittierenden Dosierung für die meisten Indikationen bevorzugt. Die einmalige Verabreichung pro Tag ist bei gram-positiven Synergien (z. B. Enterokokken-Endokarditis) oder bei schwangeren Patienten, Patienten mit erheblichen Verbrennungen (> 20% der Körperoberfläche) oder Patienten mit Nierenversagen (Kreatinin-Clearance < 40 ml/Minute) möglicherweise nicht zu empfehlen. Intravenöse Aminoglykoside werden in der Regel über 30–60 Minuten infundiert.

Wenn ein Patient unter seinem idealen Körpergewicht (IBW) liegt, sollte sein Gesamtkörpergewicht (TBW) zur Berechnung der Dosis herangezogen werden. Wenn das TBW größer als das IBW, aber kleiner als 120% des IBW ist, sollte die Dosierung auf der Grundlage des IBW erfolgen. Wenn das TBW mehr als 120% des IBW beträgt, sollte das angepasste Körpergewicht (ABW) zur Berechnung der Dosis verwendet werden:

  • IBW in kg (Männer): 50 + (2,3 × Zoll über 60 Zoll)

  • IBW in kg (Frauen): 45,5 + (2,3 × Zoll über 60 Zoll)

  • ABW in kg: IBW + [0,4 × (TBW – IBW)]

Bei Patienten mit normaler Nierenfunktion erfolgt die einmalige Gabe pro Tag

  • Gentamicin oder Tobramycin: 5 mg/kg (7 mg/kg bei schwerkranken Patienten) alle 24 Stunden

  • Amikacin: 15 mg/kg alle 24 h

Bei Patienten, die auf eine Dosis von 7 mg/kg Gentamicin oder Tobramycin klinisch ansprechen und deren Nierenfunktion weiterhin normal ist, kann die Einmal-täglich-Dosis auf die Dosis von 5 mg/kg nach wenigen Tagen der Behandlung reduziert werden.

Bei kritisch kranken Patienten sollte nach der ersten Gabe der Spitzenspiegel bestimmt werden. Spitzen- und Talspiegel sollten nach der zweiten und dritten Gabe gemessen werden, wenn die tägliche Aminoglykosiddosis geteilt wird und die Therapiedauer > 3 Tage dauert, und auch wenn die Dosis geändert wurde. Alle 2 bis 3 Tage sollte das Serumcreatinin bestimmt werden, falls dieses konstant bleibt, mussen die Serumaminoglykosidspiegel nicht erneut bestimmt werden. Der Spitzenspiegel ist der Spiegel, der 60 Minuten nach einer i.m. Injektion oder 30 Minuten nach Ende der 30-minütigen IV Infusion gemessen wird. Talspiegel werden innerhalb von 30 Minuten vor der nächsten Dosis bestimmt.

Bei einmal täglicher Verabreichung sind Spitzenwerte im Serum von mindestens dem 10-fachen der minimalen Hemmkonzentration (MIC) wünschenswert. Dieser gewünschte Spitzenwert liegt in der Regel bei 15–20 mcg/ml für Gentamicin (31,35–41,80 Mikromol/l) und Tobramycin (32,08–42,78 Mikromol/l). Die Dosierung muss so angepasst werden, dass therapeutische Spitzenspiegel (um konzentrationsabhängige Aktivität zuerleichtern) und nichttoxische Talspiegel gesichert sind. Bei kritisch kranken Patienten, die wahrscheinlich ein erhöhtes Verteilungsvolumen haben und höhere Initialdosen erhalten, liegen die Zielspitzenspiegel bei Gentamicin (33,44 bis 50,16 Mikromol/l) und Tobramycin (34,22 bis 51,34 Mikromol) bei 16–24 mcg/ml/l) und 56 bis 64 mcg/ml (95,65 bis 109,31 micromol/l) für Amikacin. Für Gentamicin und Tobramycin sollten die Talspiegel < 1 mcg/ml (< 2,09 Mikromol/l für Gentamicin und < 2,14 Mikromol/l für Tobramycin) 18 bis 24 Stunden nach der ersten Dosis bein einmal täglicher Verabreichung und zwischen 1 und 2 mcg/ml (zwischen 2,09 und 4,18 Mikromol/l für Gentamicin und zwischen 2,14 und 4,28 Mikromol/l für Tobramycin) bei herkömmlicher intermittierender Verabreichung liegen.

Bei Patienten mit Niereninsuffizienz, die traditionell intermittierend dosiert werden, ist die Anfangsdosis dieselbe wie bei Patienten mit normaler Nierenfunktion; in der Regel wird das Dosierungsintervall verlängert und nicht die Dosis verringert. Es gibt Leitlinien für Erhaltungsdosen auf der Grundlage von Serumkreatinin- oder Kreatinin-Clearance-Werten (siehe Tabelle Traditionelle intermittierende Dosierung für Aminoglykoside bei Erwachsenen), aber sie sind nicht präzise, und die Messung der Blutspiegel ist vorzuziehen.

Wenn Patienten eine hohe Dosis sowohl eines Beta-Lactams als auch eines Aminoglycosids einnehmen, können die hohen Beta-Lactamspiegel die Aminoglykoside in den Serumproben inaktivieren, wenn die Probe nicht sofort untersucht oder eingefroren wird. Wenn Patienten mit Nierenversagen gleichzeitig ein Aminoglykosid und ein hochdosiertes Beta-Lactam einnehmen, kann der Aminoglykosidspiegel reduziert sein, weil die Interaktion in vivo verlängert ist.

Tabelle

Aminoglykoside - Infektionskrankheiten - MSD Manual Profi-Ausgabe (2024)
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